Ich Möchte ein Engel Sein

Das Gedicht „Ich möchte ein Engel sein“, spontan vorgetragen bei einer Weihnachtsfeier des Krankenhauses Oberwart, sollte das Leben von Stefan Horvath positiv und nachhaltig verändern. In seinen Gedichten verarbeitet er den Tod seines Sohnes, der 1995 Opfer eines heimtückischen Bombenanschlags wurde. Stefan Horvath gab nach dem Attentat seine Arbeitsstelle in Wien auf und bewarb sich im Krankenhaus seiner Heimatgemeinde. Er verdiente zwar um zwei Drittel weniger, schaffte es aber zum Betriebsrat und Leiter der Reinigung.

Trotz vieler Rückschläge und Diskriminierungen war er in vielen Bereichen seines Lebens Pionier und Vorreiter, zum Beispiel als erster Roma in einer Volksschule, nicht ausgegrenzt, sondern mittendrin, wie das Foto zeigt. Sein Lehrer motivierte ihn, die Hauptschule zu besuchen, doch sein erster Schultag dort endete nach zehn Minuten. Der Direktor und der Lehrer warfen ihn aus der Schule. Sein Volksschullehrer ließ jedoch nicht locker, begleitete ihn am zweiten Tag und setzte durch, dass die Hauptschule auch für ihn offen war. Einfach war es nie, aber Herr Horvath ging seinen Weg. Er wurde zwar nicht Mechaniker, da ihn sein Lehrherr aus Furcht, Kunden zu verlieren, nicht zu beschäftigten wagte, aber Bauarbeiter in Wien. Er war Polier und engagierte sich in der Gewerkschaft.

Herr Horvath verarbeitet seine Lebensgeschichte als einsatzfreudiger und belesener Zeitzeuge, er erzählt von der Sprachlosigkeit seiner Kindheit, von den Eltern, die in Auschwitz waren, aber nie davon gesprochen haben. Er berichtet von Ausgrenzung und vom Wunsch, die Roma-Siedlung zu verlassen, aber auch von der Gemeinschaft, die in der Siedlung den Menschen Halt gibt. Er erzählt von einer Welt, die uns fremd ist, vom Leben in der Roma-Siedlung, von der Begegnung mit den Eltern des Attentäters, der seinen Sohn ermordete, von seinen Pflegekindern und von der Geschichte der Roma – “rom” (Mann) und “romni” (Frau).

Mehr Texte und Gedanken von Stefan Horvath sind in der Bibliothek der GIBS nachzulesen, ich empfehle das Buch: „So gewaltig ist nichts wie die Angst“ – Texte aus zwei Jahrzehnten

Martina Pfistermüller-Czar

 

Ich möchte ein Engel sein

Ich war ein Vater in jungen Jahren,

im Umgang mit Kindern unerfahren.

Da kam eines Tages mein Söhnchen gerannt

Mit einem Bild von einem Engel in der Hand

Und fragte:

„Vater, mein Vater mein,

sag mir, wie wird man ein Engelein?

Und können die Engel im Himmel spielen

Und im Schlafen auf dem Rücken liegen?

Und fliegen die Engel im Himmel umher,

und fällt ihnen das Lernen in der Schule auch so schwer?

Warum sitzen die Engel bei Gott zu seiner Linken und Rechten,

gibt es nur Gute oder vielleicht auch Schlechte,

und ist ihnen im Winter auch so kalt,

und werden die Engel tausend Jahre alt?

Was muss ich tun, um ein Engel zu sein,

muss ich beten oder kann ich auch vorlaut sein,

denn ich möchte so gerne ein Englein sein.“

Auf all diese Fragen musste ich lachen

Und sagte: „Mein Sohn,

was fragst du mich solche Sachen.

Die Engel, die sind im Himmel daheim,

auf ihren Köpfen ist ein Glorienschein

und außerdem, für einen Engel bist du noch viel zu klein.“

Jahre vergingen und viele Stürme zogen vorbei,

doch einer machte Halt,

da war Gevatter Tod dabei.

Er holte das Kind mit seinen großen Schwingen,

seitdem höre ich immer leise die Englein singen.

Seitdem bin ich rastlos und stets bereit für den Tag,

an dem der Tod zu mir sagt: „Es ist höchste Zeit.!“

Ich werd mich nicht wehren,

weil ich ganz genau weiß:

Es ist ein Wiedersehen,

nur in einer anderen Zeit.

Ich werde dann treten vor den Himmelsthron,

und aus der Schar der Engel löst sich mein Sohn

und wird sagen zu mir:

„Vater, mein Vater mein, von nun an wirst auch du ein Engel sein.“

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